„Viele Kunden glauben den Autobauern nicht“
Jürgen Gietl, spricht über die Folgen des Abgasskandals. Herr Gietl, wie gefährlich wird der Skandal für die Marke Volkswagen?
Etablierte Marken halten Krisen ganz gut aus. Es braucht lange, um eine Marke komplett zu zerstören. Davon profitiert Volkswagen derzeit. Nichtsdestotrotz gibt es für die Marke einen Imageschaden. Unklar ist derzeit noch, welche Dimension dieser Schaden annimmt und wie lange er andauern wird.
Also alles halb so schlimm?
Nein, denn der Nährboden für die Marke Volkswagen und auch für andere Automobilmarken verändert sich derzeit rasend schnell. Dafür sorgen die Digitalisierung, neue Mobilitätskonzepte und gewachsene Ansprüche der Kunden an die Nachhaltigkeit von Marken. Diese Faktoren verstärken die Wirkung dieser Krise.
Wie sollten sich die Verantwortlichen bei Volkswagen verhalten?
Das Unternehmen muss diese Situation auch als Chance begreifen. Die Veränderungsnotwendigkeit bekommt einen neuen Schub und eine neue Geschwindigkeit. Das ist aber nur ein Aspekt. Damit die Marke zukunftsfähig bleiben kann, muss sie zwingend die Werte, für die sie steht, leben und dafür einstehen. Das ist ein Versprechen an die Kunden.
Im Moment geschieht das Gegenteil. VW hat zwar den eigenen Anspruch, der umweltfreundlichste Autobauer weltweit zu werden, hat in den USA aber vorsätzlich gegen die Umweltgesetzgebung verstoßen.
Das ist ein großer Vertrauensbruch und -missbrauch gegenüber den Kunden. Ein ernstzunehmendes und großes Problem ist entstanden. Viele Kunden glauben den Werbeversprechen der Autobauer ohnehin nicht mehr und weichen auf soziale Netzwerke aus, um sich auszutauschen. Derzeit ist dieser Vertrauensbruch noch auf eine Marke begrenzt. Es besteht aber die Gefahr der Ansteckung, wie es in der Finanzkrise bei den Banken geschehen ist. Diese Entwicklung muss sehr genau beobachtet werden.
Wie konnte es zu dieser Entwicklung bei Volkswagen kommen?
Man könnte auf den Erfolgsdruck verweisen, unter dem das Unternehmen steht. Oder auf die Naivität der Verantwortlichen, daran zu glauben, dass solch eine Manipulation in Zeiten digitaler Transparenz nicht auffliegen könnte. Das Problem scheint aber tiefer zu liegen.
Was meinen Sie konkret?
Eine Marke wird eben auch durch die Haltung der Mitarbeiter eines Unternehmens geprägt. Ich habe den Eindruck, dass die Haltung einiger Verantwortlicher von Volkswagen nicht in Einklang ist mit dem von ihnen formulierten Anspruch der Marke und ihrer Werte. Das ist ein Bewusstseinsproblem aller Beteiligten, das in letzter Konsequenz der Vorstand zu verantworten hat. Er hat womöglich den Veränderungszwang des Unternehmens nicht richtig eingeschätzt.
Wird der VW-Skandal die Marke „Made in Germany“ beschädigen?
Ich bin überzeugt davon, dass sich der Skandal übergreifend auf andere deutsche Technologiemarken negativ auswirken wird. Er ist ja nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Der gesamte Industriestandort Deutschland ist dabei, den Anschluss an die internationalen Wettbewerber zu verlieren. Nehmen Sie nur die Themen Industrie 4.0 oder Elektromobilität. Längst sind andere Länder an Deutschland vorbeigezogen. Deutsche Technologiemarken haben einen großen Nachholbedarf, wenn es um Stabilität und Agilität geht.
Was vermissen Sie konkret bei Volkswagen?
Marken müssen sich für und mit der Gesellschaft verändern. Dafür reicht Fußballsponsoring nicht aus. VW arbeitet zwar an diesen Themen, hat sich aber noch nicht wirklich den gesellschaftlichen Veränderungen angepasst. Damit meine ich den Wandel vom Autobauer zum Mobilitätsdienstleister mit den entsprechenden Geschäftsmodellen. Es gibt zwar kleine Projekte in diese Richtung, im Kern aber hat sich Volkswagen seit vielen Jahren nicht verändert. Nun besteht die Chance, dies nachzuholen.
In der Vergangenheit waren auch andere große Unternehmen von Skandalen betroffen. Der ADAC hat Autotests gefälscht, Mercedes hat den Elchtest nicht bestanden, bei Toyota gab es sehr umfangreiche Rückrufaktionen. Wie vergleichbar sind diese Fälle mit der Abgas-Manipulation bei Volkswagen?
Bei Toyota und bei Mercedes gab es kaum Langzeitfolgen. Anders beim ADAC-Skandal. Denn dort waren die Autotests ein Kernthema, das die Glaubwürdigkeit des ADAC massiv beschädigt hat, wenn auch nur auf nationaler Ebene. Hier sehe ich eine Parallele zu Volkswagen. VW hat in den USA mit der „Clean Diesel“-Strategie und mit Nachhaltigkeit geworben und sich total vergaloppiert. Das wiegt sehr schwer, weil die zentralen Volkswagen-Markenkernwerte „Innovation“ und „Verantwortungsvoll“ berührt sind. Die Marke ist in einer tiefen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise, in den USA sogar in einer existenziellen Krise.
Welcher Weg kann aus der Krise herausführen?
Das Unternehmen muss transparent zeigen, dass es das Thema sehr ernst nimmt und das Vertrauen mit neuen, nachvollziehbaren Leistungsbeweisen zurückgewinnen. Entscheidend ist, dass die Probleme offen und glaubwürdig angegangen werden und sich das Unternehmen von innen heraus neu wandelt.